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Diese Woche hat Wolfgang Pöschl, der Verfahrensrichter des ÖVP-U-Ausschusses seinen Endbericht vorgelegt, erstellt hat er ihn mit seiner Stellvertreterin, Christa Edwards, und weiteren juristischen Mitarbeitern. DER STANDARD traf ihn im Parlament, um nachzufragen.


STANDARD: Wie korrupt war die ÖVP im Untersuchungszeitraum zwischen Ende 2017 und Oktober 2021?

Pöschl: Wir haben sicherlich Korruption festgestellt, über weite Strecken aber auch keine Korruption. Ins Auge stechen das Österreich-Beinschab-Tool rund um die Umfragen, das kriminell erscheint, oder die Steuercausa Siegfried Wolf. Wir haben vor allem dort massive Auffälligkeiten festgestellt, wo Thomas Schmid dabei war. Und bei Postenvergaben vor allem im Bereich des Innenministeriums. Ein System von Postenkorruption haben wir nicht festgestellt, aber in Einzelfällen wurde Einfluss genommen.

STANDARD: Meinungsforscherin und Kronzeugin Sabine Beinschab, Ex-Ministerin und Meinungsforscherin Sophie Karmasin und "Österreich"-Herausgeber Wolfgang Fellner wurden nicht geladen. Ein Versäumnis? Es gibt das Gerücht, die SPÖ habe das nicht gewollt, in Sorge, dass das Beinschab-Tool auch ihr zugutegekommen sein könnte.

Pöschl: Ich verstehe nicht, warum die Genannten nicht geladen wurden. Bei Gericht hätten wir sie alle geladen und gehört. Kann schon sein, dass es das Beinschab-Tool schon früher gab, da kenne ich aber auch nur die von Ihnen angesprochenen Gerüchte.

STANDARD: In der Steuercausa Wolf sehen Sie "ausreichende Anhaltspukte, die Korruption im Sinne politischer Einflussnahme und Verantwortlichkeit nahelegen", in der Steuercausa Benko "Auffälligkeiten". Vage, oder?

Pöschl: Ich habe im Bericht vorsichtig formuliert, weil es im U-Ausschuss um die Aufklärung von politischer Verantwortung geht und Korruption auch ein Straftatbestand ist. Wir wollen und dürfen den strafrechtlichen Ausgang eines Verfahrens nicht vorwegnehmen. Zwischen Wolf und Benko sehen wir Abstufungen. Diese Fälle bedürfen nun einer weiteren Aufklärung, da ist die Justiz am Zug.

Bei den Steuercausen Siegfried Wolf und René Benko sieht Pöschl unterschiedliche Abstufungen. Wolf bot dem Verfahrensrichter im U-Ausschuss an, ihn "Sigi" zu nennen. (Er lehnte ab.)
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STANDARD: Moralisch verwerflich und unanständig ist das Verhalten rund um die Steuercausa Benko also jedenfalls?

Pöschl: Ich will da nicht urteilen. Wir haben in unserem Bericht alle Fakten auf den Tisch gelegt, bei der Bewertung halten wir uns zurück.

STANDARD: In Ö1 haben Sie gesagt, die Korruption sei nicht "in erwartetem Ausmaß" festgestellt worden. Welches Ausmaß haben Sie denn erwartet?

Pöschl: Viele glauben ja, ganz Österreich sei korrupt, vom Bundespräsidenten abwärts. So ist es nicht und so war es auch nicht im Innenministerium. Dort wurden die auffälligen Postenbesetzungen vor allem unter Generalsekretär Michael Kloibmüller vorgenommen.

STANDARD: Die ÖVP liest den Bericht so, dass sich alle Vorwürfe in Luft aufgelöst haben. Realitätsverweigerung?

Pöschl: Jede Partei liest das aus dem Bericht heraus, was sie gerne liest. Andreas Hanger von der ÖVP sieht sich bestätigt, weil er offenbar Schlimmeres befürchtet hat. Aber noch einmal: Bei vielen Fakten gab es keine Anzeichen für Korruption. Ich bin überzeugt, dass der Bericht der WKStA nicht vorenthalten bleibt und sie nun entsprechende Akzente setzen wird.

STANDARD: Der U-Ausschuss wurde am Ende abgewürgt. Sie sehen das kritisch?

Pöschl: Ja, das Ende war enttäuschend und unwürdig. Ich hätte mir erwartet, dass man noch die bereits genannten Personen zum doch sehr wesentlichen Beinschab-Tool befragt. Herrn Schmid vielleicht eine Viertelstunde lang, denn er hätte wohl wieder nichts gesagt. Aber gut, auch so hat der U-Ausschuss einiges zu Tage gebracht.

STANDARD: Sie empfehlen in Ihrem Endbericht, dem Verfahrensrichter künftig mehr Rechte einzuräumen. Derzeit darf er zu Beginn und am Ende der Anhörung Fragen stellen, künftig soll er selbst mehr fragen dürfen?

Pöschl: Ja, er soll sich an alle Abgeordneten direkt wenden können und ergänzende Fragen stellen dürfen, wenn ein Beweisthema nicht erschöpfend behandelt wurde. Heute ist das oft unbefriedigend, wenn Abgeordnete für den Sachverhalt wesentliche Fragen nicht stellen.

Der ÖVP-Fraktionsführer im U-Ausschuss, Andreas Hanger, sieht die ÖVP durch den Bericht entlastet.
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STANDARD: In Ihren Empfehlungen sprechen Sie sich für einen unabhängigen Bundesstaatsanwalt, die Abschaffung des Amtsgeheimnisses aus – und für einen Einschnitt in die Pressefreiheit: Medien sollen nicht mehr aus Anklagen oder anderen Dokumenten berichten dürfen, bevor die Anklage öffentlich oder das Verfahren beendet ist. Ist das Ihr Zuständigkeitsbereich? Die ÖVP fordert das schon länger.

Pöschl: Stimmt, mit dem U-Ausschuss hat das nichts zu tun. Die Empfehlungen sind von mir, mit niemandem akkordiert, auch nicht mit der ÖVP. Ich wollte das auch nur als Denkanstoß deponieren.

STANDARD: Sie verweisen auf Deutschland, wo es einen solches Verbot gibt und bei Verstößen bis zu einem Jahr Freiheitsstrafe droht. Warum soll man investigativen Journalismus kriminalisieren? Vieles wäre nicht bekannt geworden, hätten Medien etwa nicht aus Chats zitiert.

Pöschl: Es geht um Leaks und Verletzung von Persönlichkeitsrechten.

STANDARD: So etwas ahndet das Medienrecht.

Pöschl: Man muss darüber diskutieren, wenn alle Details aus einem nichtöffentlichen Vorverfahren bekannt werden. Bei Politikern sehe ich es nicht so kritisch, aber bei Privatpersonen schon.

STANDARD: Das deutsche Strafgesetz macht keinen Unterschied zwischen Verfahren gegen Politiker oder Privatpersonen.

Pöschl: Bis zu Freiheitsstrafen würde ich nicht gehen wollen. Es geht nur darum, dass das nichtöffentliche Ermittlungsverfahren nicht öffentlich wird. Die gesamte Empfehlungsliste ist eine Diskussionsbasis für Politiker und Legistiker. Ich bin ein Praktiker und habe mir am Schluss des Berichts Gedanken gemacht, worüber man reden sollte.

STANDARD: Sie rudern zurück?

Pöschl: Ich habe einen Denkanstoß geliefert, zuständig für dieses Thema sind andere.

(Renate Graber, 17.2.2023)